Fruchtige, tiefenkräftige Wein-Ikonen: Die Primeurverkostung des Jahrgangs 2023 der Weingüter von Alvaro Palacios (Bierzo, Rioja, Priorat)

22. April 2024 News

Bierzo: von einem Extrem ins andere

Von Oktober bis September gab es fast 900 mm Niederschläge, mit Rekordwerten im Januar: Sturm, Hagel und stürmischer Wind bis in den Januar, dann Frost im Januar und Februar, gefolgt von einem Temperatursprung im März, Rekord-Temperaturen im April, einem warmen, feuchten Mai und einem wechselhaften, kühlen Juni, gefolgt von sehr wechselhaftem, windigem Wetter und dem Hitzemonat August. Dank jahrelanger Arbeit durch Einbringen von Stroh und Pferdemist hat sich die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens enorm verbessert. Das Ergebnis sind balanciertere, frischere Weine mit noch mehr Mineralik!

Also permanente Herausforderungen im Weinberg, alle mit dem einzigen Ziel, gesunde und perfekt gereifte Trauben zu lesen. Als im September alle eine großartige Lese erwarteten, setzte Regen ein, ein hohes Maß an Selektion war nun erforderlich. Ein Extrembeispiel: Alleine im Weinberg La Faraona waren sechs Durchgänge notwendig, um jedes Mal zu entscheiden, welches Blatt, welche Trauben und Beeren überflüssig waren, und was gelesen werden sollte. Der Aufwand über das gesamte Jahr war hoch wie nie, aber die Mühe hat sich gelohnt! Geniale, geschliffene Weine mit vibrierender Frische und hoher Mineralik kennzeichnen den Jahrgang 2023.

2023 Corullón, Vino de Villa: 90% Mencía, 10% weiße Trauben: Jerez, gelesen ab 2. September 2023 aus sieben Parzellen im Dorf Corullón, insgesamt 10,1 ha Ertrag: 26,5 hl/ha, 26.800 Liter, 35.733 Flaschen
Dichtes Violett-Purpur mit dunklem Kern; attraktive und intensive Kirschfrucht mit Noten von Schiefer, Feuerstein, erdige und florale Noten, Ginster, Veilchen, sehr reintönig, präzise und tief. Satter Auftakt von dunklen Kirschen mit viel Extrakt und sehr gut eingebundenen leicht sandigen und mundwässernden Tanninen, lebhafte, frische reife Säure, komplexes, mineralisch geprägtes Finish, das lange haften bleibt. 94–96 Punkte

2023 Moncerbal, Vino de Paraje: 92% Mencía, 8% weiße Trauben: Jerez, gelesen am 2. September 2023 aus der Einzellage Moncerbal (Schiefer-Steillage direkt unterhalb des Weinguts, süd-westliche Exposition), insgesamt 2,1 ha Ertrag: 22,85 hl/ha, 4.800 Liter, 6.400 Flaschen
Um es vorwegzunehmen: Der 2023er Moncerbal ist so gut wie nie ein Jahrgang zuvor! Selbst den aufregenden 2021er übertrifft er! Intensives Bukett nach Kräuter- und Würznoten, mit feiner Kirschfrucht, steinige Akzente, verströmt viel Terroir-Eindruck. Enorm viel satte Frucht von dunklen Kirschen, schwarzem Tee, Lakritze, das alles saftig und mundwässernd, viel feines, kreidiges Tannin, enorm vielschichtig und hoch komplex, mit Präzision und lebhafter Frische, expressiv mineralisch klingt er lange nach. Riesen-Potenzial. 96–98 Punkte

2023 Las Lamas, Gran Viña Clasificada: 90% Mencía, 10% weiße Trauben: Jerez, gelesen am 11.-13., 16. und 20. September 2023 aus der Einzellage Las Lamas (terrassierte Schiefer-Steillage 300 Meter westlich des Weinguts, direkt unterhalb der Straße, süd-süd-östliche Exposition), insgesamt 1,6 ha
Bisher hatte mir fast jedes Jahr der Las Lamas besser gefallen als der Moncerbal, 2023 ist es – in diesem frühen Stadium – umgekehrt. Das Bukett ist verschlossen, feine, subtile Noten von Weichselkirsche mit erdigen Noten und nassem Stein erkennbar. Der Wein hat zwar alle Anlagen für einen großen Wein, mit dichtem, sattem Fruchtauftakt von dunklen Kirschen und viel erdigen Noten, mit frischer Säure, packenden Tanninen, viel mineralischen Akzenten und nuancenreich, aber irgendwie passt alles nicht so perfekt zusammen wie beim Moncerbal. Das ist Jammern auf hohem Niveau und es bleibt die Hoffnung, dass er mit zunehmender Reifung auch mehr an Balance und Harmonie gewinnt. 95–97 Punkte

2023 Al Chelo, noch nicht klassifiziert: 95% Mencía, 5% weiße Trauben: Jerez, gelesen am 15. September 2023 aus der Mini-Einzellage Al Chelo, die genauso heißt wie „Chello“ (tatsächlich noch mit Doppel-L geschrieben), die verstorbene Schwester von Álvaro bzw. Mutter von Ricardo, insgesamt 0,39 ha Ertrag: 19,23 hl/ha, 750 Liter, 1.000 Flaschen
Rauchige Noten finden sich hinter der dichten, sehr reifen Kirschfrucht, ein intensives Bukett, ansprechend und mit Tiefe, aufregend anders als alle bisherigen Weine. Am Gaumen satte und saftige Kirschfrucht mit packenden, leicht aufrauenden Tanninen, viel erdige Noten, auch Röst- und Toastaromen, stoffig, fordernd, mit Spannung. 96–98 Punkte

2023 La Faraona, Gran Viña Clasificada: 98% Mencía, 2% weiße Trauben: Jerez, gelesen am 25. und 26. September 2023 aus der Einzellage La Faraona El Ferro (terrassierte Schiefer-Steillage nochmals höher gelegen als die anderen Einzellagen, 975 m, eine der am höchsten gelegenen Parzellen in Bierzo), insgesamt 0,55 ha Ertrag: 18 hl/ha, 900 Liter, 1.200 Flaschen
Tiefdunkles, dichtes Rubin mit schwarzem Kern, am Rand Purpur aufhellend. Sehr kompakt und stoffig, packend am Gaumen mit sehr viel Extrakt, zeigt Präzision und Spannung, großartige Tiefe, sehr viel feines Tannin mit Grip, leicht aufrauend, in diesem Stadium aber völlig OK, Riesenpotenzial. Ein Wein, der berührt und mit großartiger Balance beeindruckt. Klare, ungeheuer präzise Aromatik, alles stimmig und großartig ineinander verwoben. 98–100 Punkte


Rioja Oriental: das Jahr der Herausforderungen

Viel Regen im Spätherbst 2022 und Schnee im Februar waren vom Timing her zwar nicht perfekt, aber jeder Tropfen Niederschlag tat den sehr trockenen Böden gut. Ein Drittel des Jahresniederschlags von 419 mm fiel in den Monaten Juni und Juli, so dass viel Arbeit im Weinberg notwendig war. Dank jahrelanger Bodenlockerung mit Stroh und Mist saugte der Boden die Nässe gut auf. Insbesondere der Hagel Anfang Juli, der im Wesentlichen die Westseite von La Montesa traf, sorgte für viel Arbeit. Die beschädigten Trauben wurden entfernt, im Valmira-Weinberg hingegen reichte eine grüne Lese weniger betroffener Trauben und Blätter. Der August war heiß und trocken, schon Ende des Monats näherte sich das erste Lesefenster. Die Lese begann am 8. September, musste aber wegen Regens zehn Tage lang unterbrochen werden, bevor sie am 18. September fortgesetzt werden konnte.

2023 Álvaro Palacios Alfaro Valdelareina: 90% Garnacha, 10% andere rote Sorten, gelesen am 28. September 2023 Ertrag: 19.9 hl/ha, 2.780 Liter, 3.700 Flaschen 
Erstmals wurden die Trauben dieser nur 1,4 Hektar kleinen, hoch gelegenen Spitzenlage separat ausgebaut. Der Wein wird als Vino Municipio (Ortswein) vermarktet. Genau wie der Quiñón de Valmira jedoch nicht unter der Palacios Remondo Range, sondern unter dem Namen Álvaro Palacios Alfaro.
Vielversprechendes, tiefgründiges Bukett von Kirschen, florale Noten, Veilchen, Bergamotte und Blutorangen. Am Gaumen wiederum saftige Kirschfrucht, etwas Pampelmuse, sehr feine Gerbstoffe, vielschichtig. Die feingliedrige Säure bringt Frische und viel Spiel, Finesse und Eleganz prägen das lange Finale. 94–96 Punkte

2023 Álvaro Palacios Alfaro Quiñón de Valmira: 85% Garnacha, 15% andere rote Sorten, gelesen am 21. und 22. September 2023 Ertrag: 10,5 hl/ha, 3.143 Liter, 4.190 Flaschen 
Der Flaggschiff-Wein im Rioja Portfolio kommt aus der 616 m hoch gelegenen, nur 3 Hektar kleinen Einzellage Quiñón de Valmira in der Sierra de Yerga. Der Wein wird ausschließlich in Subskription angeboten. Im Duft noch sehr verschlossen, nur ansatzweise lassen sich Schattenmorellen und Sauerkirsche identifizieren, etwas florale Akzente. Tiefgründig und intensiv der Auftakt mit roten Früchten, super saftig mit mundfüllender Frucht, fein verwobenem Tanningeflecht, das filigrane Säurespiel trägt den konzentrierten, extraktreichen Wein, der viel Substanz und Potenzial hat. Hoch elegant im Finish. Da kann noch Großes entstehen, ist im Moment aber nur ansatzweise erkennbar. Potenzialwertung: 97-99 Punkte


Priorat: eines der trockensten Jahre

Weniger als 250 mm Niederschlag zwischen November 2022 und Oktober 2023 sind ein Negativ-Rekord der letzten fünf Jahre. Die Landwirtschaft in Katalonien im Allgemeinen und insbesondere der Weinbau leidet unter den immer extremeren Folgen des Klimawandels. Erstmals entschloss sich Álvaro, bestimmte Parzellen auf den Hügelkuppen und steinigen Böden zu bewässern, um den Reben dort das Überleben zu sichern. Doch Wasser wird in Dürrezeiten immer schwieriger zu beschaffen. Die Beeren bleiben bei trockener Hitze klein, dank großer Anteile Alter Reben auf Schieferböden sind sie dennoch reif und hoch konzentriert. Álvaro spricht über die Weine „von reinster Essenz“. Ein Blick auf die Erträge macht sofort verständlich, was er damit meint.

2023 Gratallops, Vi de Vila: 80% Garnacha, 20% Cariñena, gelesen vom 2. September bis 10. Oktober 2023 aus 8 Parzellen in Gratallops, insgesamt 8,79 ha Ertrag: 11,94 hl/ha, 10.300 Liter, 13.730 Flaschen
Der 2023er Gratallops duftet intensiv nach reifen Brombeeren, Macchie, wilden Kräutern und nassem Stein. Am Gaumen packend, mit saftiger Frucht, dunkelbeerig, die Gerbstoffe sind wesentlich feiner als in den letzten Jahren, geschliffener, dennoch auch hier viel Holzeinfluss schmeckbar, stoffig, mit viel Würznoten, extraktreich, zum Kauen. Das Zusammenspiel von Tanninen und reifer Säure ist m.E. deutlich harmonischer als in den Jahren zuvor. Für mich einer der besten Gratallops ever. 94–96 Punkte

2023 Finca Dofí, Vinya Classificada: 95% Garnacha, 5% Cariñena, gelesen vom 4. bis 27. September 2023 aus 3 Parzellen in Gratallops, insgesamt 12,5 ha Ertrag: 16,96 hl/ha, 21.000 Liter, 28.000 Flaschen 
Wunderschönes, intensives Bukett nach dunklen Beeren, feine Würznoten, Tabak, Zedernholz, tief und aufregend vielschichtig. Sehr kompakter und enorm saftiger Fruchtauftakt, Brombeeren, Heidelbeeren, Cranberries, mit sehr viel, leicht kernigem Tannin gesegnet, das jedoch reif ist, ohne spröde zu sein, muss sich nur noch integrieren, ganz am Ende ein Hauch von Bitternoten, sehr stimmig und überzeugend, mit Spannung und Spiel, sehr gelungen. 96–97 Punkte

2023 La Baixada, Vinya Classificada: 95% Garnacha, 5% Garnacha Blanca, gelesen am 8. und 10. September 2023 aus der Einzellage La Baixada 1,3 ha Ertrag: 20,76 hl/ha, 2.600 Liter, 3.460 Flaschen
Offensives Bukett mit opulenter Brombeerfrucht, Kräuterwürze, steinige Noten, Tabak, zarte Röst- und Holznoten. Sehr stoffiger, dichter und kompakter Fruchtauftakt, sehr viel intensives, leicht sprödes und trocknendes Tannin, packend, viel Extrakt, zum Kauen, endet lang und fordernd. 96–97 Punkte

2023 Les Aubaguetes, Vinya Classificada: 60% Garnacha, 35% Cariñena , 5% weiße Trauben Garnacha Blanca und Macabeo, gelesen am 28. September sowie 3. und 4. Oktober 2023 aus der Einzellage Les Aubaguetes 1,79 ha Ertrag: 11.17 hl/ha, 900 Liter, 1.200 Flaschen
Intensiver Duft nach Heidelbeeren und Brombeeren, etwas Teer, Lakritze, Veilchen, schwarzem Tee, tiefgründig und sehr abwechslungsreich, vielschichtig. Sehr fokussierte und präzise Beerenfrucht, auch hier Heidelbeere und Brombeere, ungemein konzentriert mit enorm viel feinen Tanninen, groß, Wahnsinns-Tiefgang, voller Spannung und Frische, mit endloser Länge. Ein ganz großer Gänsehaut-Wein, der mir zum erstmals sogar einen Tick besser gefällt als L’Ermita. 98–100 Punkte

2023 L‘Ermita, Gran Vinya Classificada: 84% Garnacha, 13% Cariñena , 2% Picapoll, 1% weiße Trauben Garnacha Blanca, Macabeo, Pedro Ximenez, gelesen am 5., 6., 9. Und 11. Oktober 2023 aus der Einzellage L‘Ermita 4,7 ha Ertrag: 9,75 hl/ha, 3.600 Liter, 4.800 Flaschen
Leuchtendes, klares Rubinrot, deutlich heller als Les Aubaguetes. Im Duft verschlossen, nur ansatzweise sind beerige Noten erkennbar. Am Gaumen aber unglaublich stoffig mit einem Wahnsinns-Extrakt, ein Wein zum Kauen, mit sehr viel reifem, feinkörnigen Tannin, dezente Würznoten, mit einem Hauch weniger Spannung und Druck als Les Aubaguetes, aber L’Ermita ist als „Langsamentwickler“ gerade in diesem frühen Stadium bekannt, definitiv ein großer Wein. 97–99 Punkte

 

Text und Fotos: Frank Roeder MW