Entdecken Sie einen besonderen Wein: Madeira!
Michael Broadbent, Master of Wine, war eine der honorigsten Weinpersönlichkeiten Englands. Lange Zeit war er Chefauktionator bei Christie's, dessen Wein-Abteilung er zur wichtigsten aller Auktionshäuser ausbaute. Seine Liebe zu Madeira ist genauso legendär. Zusammen mit seinem Sohn Batholomew gründete er deshalb 1987 die Firma Broadbent Wines, die sich auf die Zusammenstellung von eigenen Madeira und Portweinen spezialisierte. Beiden gelang es, Madeira im amerikanischen Markt wieder zu etablieren, denn vor der Prohibition galt dort Madeira als einer der besten und berühmtesten Weine. Die Amerikaner konsumierten damals ein Viertel der gesamten Madeira-Produktion! Doch nach der Prohibition verschwand Madeira aus der Wahrnehmung der Weinliebhaber. Aufgrund des Erfolges mit Madeira haben sich die Broadbents übrigens auch dem Thema Vinho Verde angenommen und erzeugen feinen, leichten klassischen Vinho Verde. Aber das ist ein anderes Thema.
Michael Broadbent, der im März 2020 im Alter von 92 Jahren verstarb, ging mit Justino's in Madeira eine Kooperation ein und lies sich von dem renommierten Madeira-Erzeuger eine eigene Madeira-Linie erzeugen. Als langjähriger Madeira-Liebhaber lernte ich diese Serie vor vielen Jahren bei meiner Ausbildung zum Master of Wine kennen. Seitdem hat mich das Madeira-Fieber gepackt. Ewig in Erinnerung bleiben wird mir die Madeira-Schulung durch einen der renommiertesten Port- und Madeira-Kenner Englands. Der Mann war so skurril, wie man es von egozentrischen, detailversessenen Experten erwarten darf. Er stellte uns mustergültig 12 grandiose Madeira und Portweine vor, die wir akribisch verkosteten, beurteilten und bewerteten. Während wir brav alle Weine (die ja einen Alkoholgehalt von 19 bis zu 21% aufweisen) analysierten und wieder ausspuckten, hat unser Referent seine Gläser leer getrunken, jedes Mal mit einem Augenzwinkern anmerkend: "Too good to spit!" (Zu gut, um ihn auszuspucken). Wohl gemerkt: Bei allen 12 Weinen!
Die Weinberge in Madeira wachsen auf steilen Hängen
Der Weinbau in Madeira hat eine lange und wechselhafte Geschichte. Bereits im 16. Jahrhundert gab es einen bedeutenden Weinbau auf der Insel im Atlantik. Als wichtiger Zwischenstopp auf dem Weg nach Indien beluden die Kolonialmächte hier ihre Schiffe für den langen Weg nach Indien und Asien mit Lebensmitteln, Frischwasser und Wein. Schnell merkte man, dass der Wein auf der langen Reise durch die warmen Tropen (zweimal musste man den Äquator überqueren) verdarb. Abhilfe brachte das Beimengen von destilliertem Alkohol aus Zuckerrohr.
Die Fässer lagerten im Bauch der Schiffe, und bald stellte man fest, dass der Wein aus Madeira am Zielort besser schmeckte als auf der Insel. Und noch besser schmeckte er, wenn er auch die Rückreise überstand. So entwickelte sich der vino de roda, der die Seereise hin und zurück gemacht hatte. Das Verfahren war aber nicht nur zeitaufwendig, sondern auch teuer. Also kam man auf die Idee, das Verfahren an Ort und Stelle nachzuahmen.
Der Wein lagerte nun in Fässern in Gestellen (canteiros) in Räumen, die man heizen konnte. So wurde das Wechselspiel der Temperaturen simuliert. Die nächste Erkenntnis war, dass je länger der Madeira unter diesen Bedingungen reifte, umso besser wurde. Heutzutage heizt man die Weine in entsprechend modifizierten Tanks auf (estufas).
In heizbaren Tanks (estufas) wird die Wirkung der langen Seereise simuliert
Es ist dieses Zusammenspiel von Karamellisierung des Restzuckers durch die hohen Temperaturen und Oxidation durch den Sauerstoff, dem der Wein so lange ausgesetzt ist, der die einzigartige Aromatik der Madeira-Weine ausmacht. Man spricht von Madeirisierung!
Durch die Kolonialisierung Amerikas baute sich bereits ab dem 17. Jahrhundert ein bedeutender Exportmarkt auf. Die Unabhängigkeitserklärung der USA wurde 1776 mit Madeira besiegelt. Ende des 18. Jhd. wurden 25% aller Madeira in den USA konsumiert. Auch in England und in den portugiesischen Kolonien war der Wein sehr beliebt, die Nachfrage übertraf bei weitem das Angebot.
Die erste Krise kam 1851 durch den Echten Mehltau: Innerhalb von nur 3 Jahren kam der Weinbau zum Erliegen. Erst durch die Entdeckung, dass das Bestäuben der Rebblätter mit Schwefel Schutz vor der Krankheit bot, erholte sich der Weinbau schnell wieder. Allerdings nur kurze Zeit: Ab 1870 breitete sich die Reblaus aus und vernichtete die Weinberge. Stattdessen wurde Zuckerrohr gepflanzt. Dank der Entdeckung, dass die Reblaus amerikanischen Unterlagsreben nichts anhaben konnte, war zu Beginn des 20. Jhd. wieder das alte Produktionsvolumen erreicht.
Die nächste Krise folgte 1919 durch die russische Revolution und die amerikanische Prohibition. Von ursprünglich 30 Handelshäusern existieren heute nur noch sechs. Justinos Henrique ist das größte, die Madeira Wine Company ist ein Zusammenschluss mehrerer kleiner Häuser.
Während Deutschland, Frankreich und Benelux Abnehmer einfacher Kochwein-Madeira sind, wird hochwertiger Madeira in den USA, England und Japan getrunken.
Die Broadbent Madeiras reifen lange in 650 L Holzfässern
Wir stellen Ihnen 4 verschiedene 10 Years Old Madeiras vor. Diese sind nicht aus einem einzigen Jahrgang, sondern ein verschnitt aus mehreren Jahrgängen, von denen der jüngste mindestens 10 Jahre im Fass gereift ist. Sie sind jeweils aus einer einzigen Rebsorte erzeugt und weisen unterschiedlich Restzuckerwerte auf: Von ganz trocken (56 g Restzucker) über halbtrocken, halb süß und sehr süß (120 g Restzucker) zeigen wir die gesamte Geschmackbandbreite.
Der 10 Years Old Madeira Sercial ist ein Dry Madeira, also die trockenste Variante. Er zeigt klassischen Madeiraduft (madeirisiert) mit Noten von Feigen und Datteln, Walnüssen und Mandeln, Würznoten und Tabak, was ein wenig an gereiften Riesling erinnert. Ein kraftvoll nussiger Auftakt mit viel Mandelaromen. Eine packende, aber bestens integrierte Säure, die die vorhandene Süße wunderbar einpackt, sorgt für ein betont trockenes Finale. Leicht gekühlt trinken! Er schmeckt hervorragend solo als Aperitif, gerne mit geschälten Mandeln oder zu Hartkäse. In der angebrochenen Flasche ist er über Monate hinweg zu genießen.
Etwas weniger trocken ist der 10 Years Old Madeira Verdelho, ein Medium Dry Madeira. Er zeigt in der Farbe ein dunkles Goldgelb mit funkelnden Reflexen und leicht grünlich schimmerndem Rand. Sein Bukett ist intensiv mit fruchtigen und floralen Akzenten, und duftet hoch attraktiv nach Datteln und getrockneten Feigen, aber auch getrocknete Aprikosen, Nüssen und Mirabellenkonfit. Sehr saftiger, delikater Auftakt nach kandierten Früchten, Zitrus und grünem Apfel, gebrannte Mandeln. Das feine Säurespiel begleitet die elegante Süße und führt einen unglaublichen Spannungsbogen in ein langes und komplexes Finale. Der Wein ist in der angebrochenen Flasche über Monate hinweg zu genießen.
Mit feiner Süße glänzt der 10 Years Old Madeira Boal, ein Medium Sweet Madeira. In der Farbe gefällt ein sehr dunkles dichtes Goldgelb, das ins Kastanienbraune reicht. Sein kraftvolles, intensives Bukett duftet nach weißer Schokolade, Zuckerrohr, Datteln und Mandarinen, aber auch schwarzer Tee und Lakritze. Am Gaumen zeigt sich ein saftiger, cremiger und kraftvoller Auftakt mit viel Noten von Zitrus und Bratapfel, sanft Karamell und Toffee, Butterscotch. Hochkomplex mit einem nussigen und saftigen Finale, das fantastisch lang nachklingt. Er passt wunderbar zur Zigarre, zu schokoladigen oder leicht fruchtigen Desserts und kraftvollen Käsesorten. Auch er ist in der angebrochenen Flasche über Monate hinweg zu genießen.
Opulent und mit grandioser Süße ausgestattet ist der 10 Years Old Madeira Malmsey. Der reinsortige Madeira von der Malvasia-Rebe ist kastanienbraun, mit Tendenz ins Mahagoni. Sein intensives Bukett duftet nach Karamell und Akazienhonig, Milchschokolade, Limetten, Orangenmarmelade, Maroni und Tee. Milder, weicher und cremig-saftiger Auftakt mit schöner Zitrusfrische, Orangekonfitüre und Mandeln, rassig und dennoch geschmeidiges Süßespiel, und ein ultralanges Finish mit dezenter Säure. Er ist quasi ein Dessert, aber gefällt auch zur Zigarre und Blauschimmel-Käse. Der Wein ist in der angebrochenen Flasche über Monate hinweg zu genießen.
Jetzt haben Sie die Qual der Wahl. Oder kommen Sie vorbei, dann können Sie alle Madeira vor Ort probieren!
Text: Frank Roeder MW