Die Renaissance des Muscadet: Weltklasse-Weine von Famille Lieubeau

3. November 2023 News

Muscadet war einmal in Deutschland in den 70er und 80er Jahren eine wichtige Wein-Referenz. Für Frankreich-Liebhaber galt Muscadet als Inbegriff der perfekten Weinbegleitung zu Austern, anderen Muscheln, Meeresfrüchten oder Plat Fruits de Mer. Doch damals war Muscadet eher ein leichter, unkomplizierter süffiger Wein für kleines Geld. Daher geriet er schnell in Vergessenheit. Moden beim Wein wechseln zwar nicht so schnell wie in der Bekleidungsindustrie, doch sie sind keine Seltenheit. Nur selten gelingt es, einst begehrte und dann in Vergessenheit geratene Referenzen wieder in den Fokus der Weinliebhaber zu rücken. Chablis und Chianti ist das gelungen, allerdings waren deutliche Qualitätsverbesserungen und eine Schärfung des Profils erforderlich. Jetzt ist es genau mit diesen Aspekten auch dem Muscadet wieder gelungen, die Herzen und Gaumen der Gourmets zu erobern!

Zumindest im Herkunftsland, in Frankreich. Dort werden Muscadets der Spitzenklasse inzwischen zugeteilt, weil die führenden Sommeliers der Gourmettempel erkannt haben, dass die feinaromatischen, salzig-mineralischen Weißweine bei niedrigem Alkohol dem Wunsch der Konsumenten entsprechen und ideal in die Zeit passen. Ein Profil mit hohem Wiedererkennungswert, niedrige Erträge sorgen für hohe Qualität, und das Preisniveau ist nach wie vor selbst in der Spitzenklasse moderat.

Exakt solche Weine macht das BIO-Weingut der Famille Lieubeau, das zu den führenden Erzeugern der Appellation gehört.

Der BIO-Produzent Lieubeau pflügt den Weinberg mit Pferd, um Bodenverdichtung zu minimieren

Die Geschichte des Weinguts der Familie Lieubeau beginnt im Jahre 1816 mit Joseph Grégoire Lieubeau, ein Waisenkind aus dem Hôtel de Dieu in Nantes. Er erhielt seinen Namen nach dem schönen Ort (Lieu beau) an dem er aufgefunden wurde. Das Logo der Familie ist seither das behütete Kind, das in einem Weingut aufwuchs und später sein eigenes Weingut gründete. Heute, mehr als 200 Jahre danach, teilen sich Pierre und Chantal Lieubeau mit ihren erwachsenen Kindern François, Vincent und Marie die Verantwortung dieses Musterbetriebes in Muscadet. Vincent kümmert sich als Agraringenieur um die biologisch bewirtschafteten Reben. Die 65 Hektar - mit großen Anteilen in den drei Crus Château Thébaud, Clisson und Goulaine - sind top gepflegt, die Keller glänzen vor Sauberkeit.

Melon de Bourgogne nennt sich die Rebsorte für Muscadet

Muscadet wird aus der Rebsorte Melon de Bourgogne gekeltert, die Weine bleiben nach der Gärung viele Monate auf der Hefe in unterirdischen Tanks. Dort verleiht der Hefekontakt bei nahezu konstanter niedriger Temperatur die Struktur, die für ein phantastisches Reifepotenzial sorgt. Zehn Jahre oder mehr sind für die Weine aus den Cru-Lagen kein Problem, im Gegenteil: Sie werden mit zunehmender Flaschenreife immer besser.

Im April 2023 habe ich das Weingut erstmals besucht. Kein guter Zeitpunkt, denn in der Nacht vor meinem Besuchstermin war Frost angesagt, und Vincent Lieubeau war die ganze Nacht auf den Beinen, um seine Reben zu schützen. Große Ventilatoren waren in den Hanglagen in Betrieb, um durch Luftverwirbelungen Kältepunkte in den Senken mit der etwas wärmeren Luft zu durchmischen. In den flacheren Lagen mit weniger Hangneigung liefen die Beregnungsanlagen bis spät in den Vormittag auf Hochtouren. Auch im Chablis wird das praktiziert: Das Wasser gefriert um die noch sehr jungen Austriebe, durch die Verdunstungswärme haben die Triebe eine Chance auf ein Überleben. Vincent fuhr mit uns in die Rebanlagen, wo wir uns persönlich davon überzeugen konnten, wie gut diese Methode funktioniert.

In den flacheren Lagen von Muscadet schützt gefrierendes Wasser aus Berieselungsanlagen die jungen Triebe vor Frost

Bis zu diesem Zeitpunkt war ich der Annahme, dass Muscadet Sèvre et Maine ein ziemlich flaches Anbaugebiet (6.400 Hektar) ist, südlich der Loire kurz vor der Mündung, nahe der Stadt Nantes. Umso erstaunter war ich bei einem Besuch in dem Dörfchen Château Thébaud, Namensgeber für die Cru - oder Spitzenlage. Dort ragt eine Stahlbrücke in die Schlucht hinein, um zu verdeutlichen, wie groß die Höhenunterscheide dann doch sind, hinunter zum Flüsschen Maine sind es stattliche 70 Meter! Mit Gneiss-geprägten Böden, die den Weinen eine irre Mineralität verleihen, nimmt sie neben den anderen 9 Crus eine Spitzenposition ein. Diese sind alle nach Gemeinden benannt, wie Clisson, Goulaine, Monnières-Saint Fiacre, Gorges, Le Pallet, La Haye Fouassière, Champtoceaux, Vallet und Mouzillon-Tillières. Deren Rebfläche beträgt gerade einmal 200 Hektar, die Weine müssen zwischen 18 und 24 Monaten auf der Hefe (sur lie) bleiben. Und das macht den Riesen-Unterschied zu den normal Muscadet Sèvre et Maine sur lie aus! Diese müssen "nur" 6 Monate auf der Hefe verbringen.

Meist geschieht diese Lagerung unterirdisch in großen Betontanks. Im untenstehenden Video sehen Sie, wie Vincent Lieubeau mir eine Probe des Cru Clisson 2021 zieht, wohlgemerkt im April 2023. 

24 Monate reift der Cru Clisson, 36 Monate gar reift der Cru Château Thébaud. Dadurch gewinnen die Weine an Struktur und Tiefe, sie erhalten einen zarten Schmelz, nussige Noten, und die sensorische Wahrnehmung der Hefe in Duft und Geschmack schwächt sich ab. Bei den einfachen Muscadets, die nur 6 Monate auf der Hefe bleiben, ist diese sowohl in Duft wie Geschmack wesentlich präsenter. Hinzu kommt, dass die Crus zumindest bei Famille Lieubeau, aber auch bei den anderen Spitzenerzeugern, nur von alten Rebanlagen produziert werden. Mit ihren weit in die Tiefe reichende Wurzeln saugen die Reben Mineralien auf und lagern sie in den Beeren ein. Die lange Reifung bewirkt dann, dass sich die Mineralität besser integriert und mit der Frucht eine faszinierende Harmonie eingeht. Die Extraktwerte sind hoch, was sich in der Komplexität der Weine manifestiert.

In Château Thébaud hat man einen spektakulären Bilick in die Tiefe auf das Flüsschen Maine.....

.... und man erkennt das von Gneiss geprägte Terroir

Jeder Cru hat sein eigenes Terroir: Besonders beim Cru Château Thébaud ist es von Gneiss geprägt, beim Cru Gorges sind es quarzhaltige Böden über Gabbro-Untergrund. Der Cru Clisson ist von sandigen und  steinigen Kieseln über Granit geprägt, in Goulaine sind es sandige Böden über Glimmerschiefer. Das ergibt recht markante Unterschiede in den Weinen.

Egal welchen Cru man verkostet: In jedem Fall sind es große Weine mit hoher Lagerfähigkeit. Aktuell geniesse ich am liebsten den Jahrgang 2012.

Text: Frank Roeder MW
Fotos: Frank Roeder und Famille Lieubeau