
Die Legende lebt! Großartige Vertikale des Kultweins Sassicaia
Mit dem Jahrgang 1985 gelang Sassicaia der Aufstieg in den Wein-Olymp. Als erster der Super-Toskaner, die damals noch als „Vino da Tavola“ vermarktet wurden, erhielt Sassicaia von Parker 100 Punkte. Das katapultierte das bis dahin nur Insidern bekannte Weingut aus Bolgheri in die internationale Weinszene. Lange Zeit sollte der 1985er der einzige Sassicaia-Jahrgang bleiben, der mit der Höchstnote belohnt wurde. Erst der Jahrgang 2016 hat es wieder geschafft. Master of Wine Frank Roeder organisierte nun eine Vertikale Sassicaia mit 17 Jahrgängen, darunter auch der legendäre 1985er und der 2016er. Dabei waren alle Weine der wichtigen Wendepunkte in der Geschichte von Sassicaia.
1987 – 1988 Magnum – 1989 – 1991 – 1992 – 1993 – 1994 – 1996 – 1997 – 1998 – 2006 – 2007 – 2008 – 2009 – 2015 – 2016 – 1985. Siebzehn perfekt gelagerte Jahrgänge, 15 davon aus dem privaten Keller von Master of Wine Frank Roeder, und 2 von einem privatem Sammler: Alle waren perfekt gereift, kein einziger Wein von Kork beeinflusst. Kein einziger Wein zeigte Oxidationsnoten, kein einziger Wein schwächelte oder war gar hinüber. Das zeigte zwei ganz wesentliche Aspekte: Sassicaia kann hervorragend reifen, und: Die Legende lebt!
Hier ist sein Bericht:
„Seit dem Jahrgang 1979 kenne ich jeden einzelnen Jahrgang Sassicaia. Also lange bevor er mit dem Jahrgang 1985 weltweit für Furore sorgte. Ich hatte mich Anfang der 80er Jahre in diesen Wein verliebt, kaufte jedes Jahr ein paar Flaschen des aktuellen, und wo immer möglich auch ältere Jahrgänge. Ich erlebte viele Momente großartiger Freude, war aber gelegentlich auch enttäuscht. Ich brauchte Jahre um zu verstehen, dass ein Sassicaia besonders in seiner Jugend keine kontinuierliche Steigerung durch Reife erfährt, sondern recht wechselhafte Hochs und Tiefs erlebt. Erwischt man einen Jahrgang in seinem Tief, bleibt die Enttäuschung nicht erspart. Erwischt man ihn auf einem Hoch, erlebt man großartige Weinmomente. Das galt insbesondere für die Jahrgänge Ende 80 bis Ende 90. Geduld hat sich aber in jedem Fall ausgezahlt, wie diese Probe bewies.
Sassicaia ist eine Cuvée aus den Sorten Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc, meist in einem Verhältnis von 85/15. Da diese Rebsorten in der Toskana lange nicht zugelassen waren, musste der Sassicaia als Vino da Tavola (Tafelwein) vermarktet werden. Das änderte sich erst 1994, als die DOC Bolgheri geschaffen wurde und Sassicaia eine eigene Unter-DOC Bolgheri-Sassicaia erhielt. Im Januar 2014 erhielt dann Sassicaia als erste und einzige Weingut eine eigene DOC.
Der erste kommerzielle Jahrgang war 1968. Önologe war bis zum Jahrgang 2007 Giacomo Tachis, der bei Antinori auch für Tignanello und Solaia verantwortlich war. Ab dem Jahrgang 2009 ist seine Schülerin Graziana Grassini verantwortliche Önologin bei Sassicaia. All diese Entwicklungen sollte die Probe abbilden. Und das gelang trefflich!
Wir begannen mit dem Jahrgang 1987: Ein würdiger Auftakt, denn der Wein zeigte die so typischen und oft unverwechselbaren Aromen des Sassicaia mit einem betörenden Bukett nach welkem Laub, Trüffel, Bleistiftnoten, etwas Liebstöckel und roter Johannisbeerfrucht. Auch am Gaumen rote Johannisbeere mit einer unglaubliche Frische, sehr feine kreidige Tannine verleihen ihm eine klassische Struktur. Kein großer Wein, aber ein sehr schmackhafter, lebhafter und dank seiner reifen und präsenten Säure ungemein gastronomischer Wein, delikater Trinkfluss, legt an der Luft sogar noch zu. 88 Punkte, kann noch 3 bis 4 Jahre auf diesem Niveau genossen werden.
Es folgte eine Magnum 1988: Für viele der Teilnehmer eine großartige Überraschung: Großartiges und großzügiges Bukett nach dunklem Cassis, Brombeere, Kaffee und Mokka, Zedernholz, dazu der obligatorische Duft nach welkem Laub. Am Gaumen ein kraftvoller Auftakt mit viel Druck, griffige Tannine stützen die herbwürzigen Noten, immer noch etwas Cassis zeigend, sehr langes, vielschichtiges herbes Finale, erhaben! 93 Punkte. Anscheinend reift er in der Magnum besser als in der Normalflasche, die letzte Wine-Advocate-Bewertung von Parkers Italien-Spezialistin Monica Larner aus 2017 lag bei nur 88 Punkten. Wir waren uns aber alle einig, dass 93 eher noch untertrieben ist und 88 auf diese Flasche absolut nicht passt.
Der Sassicaia 1989 konnte da nicht ganz mithalten, war aber dennoch ein attraktiver Wein. Im Duft dominierten Tertiär-Aromen, welkes Laub, Geranien, Kräuternoten. Am Gaumen zeigte er aber erstaunlich viel Spiel, feines Johannisbeergelee, die Gerbstoffe feinkörnig, eine feine Säure macht ihn zu einem süffigen Wein, der auch noch gute Länge hat. Auch hier lagen wir mit der Benotung deutlich höher als Larner, die ihm nur 79 Punkte ab. Für uns war das klar bei 87 Punkten.
Wir übersprangen den Jahrgang 1990 und kosteten den Sassicaia 1991: Das war definitiv der schwächste Wein der Probe, auch wenn das Bukett noch ganz Sassicaia-typisch nach Waldboden duftete, hinzu kam Leder und Lakritze. Aber am Gaumen war er deutlich gereift und auch leicht gezehrt, zwar noch gut zu trinken, aber leider mit schwachem Körper, flach ohne Tiefe. 81 Punkte, wegtrinken. Hier deckt sich unsere Erfahrung mit der Einschätzung Larners.
Wesentlich besser der Sassicaia 1992, der zwar nach ausgelutschtem Teebeutel roch, mit etwas Laubnoten, aber am Gaumen ein feines Spiel rotbeeriger Frucht zeigte. Mit superfeinen, kreidigen Tanninen, schön balanciert, mit leichtem Druck und einem langen, delikaten Finish. Ein Wein, der am Gaumen deutlich besser war als im Duft. 87 Punkte
Sassicaia 1993 war der letzte Jahrgang als Vino da Tavola, also das Ende einer bedeutenden Ära. Leider war der Inhalt der Flasche nicht ganz so bedeutend, denn es war ein eher schlanker Saccicaia, der im Bukett viel Noten von Graphit und erdige Töne zeigte. Am Gaumen wird die Struktur von herbem und sprödem Tannin dominiert, er wirkt eher staubig und mineralisch, hat aber Substanz und eine gewisse Fülle, er endet mineralisch geprägt. 88 Punkte
Der erste DOC Jahrgang 1994 zeigt zwar im Bukett noch etwas rotbeerige Frucht, Kräuter und Kaffeesatz, und auch am Gaumen findet sich eine etwas pflaumige Frucht, Backpflaumen, und eine lebhafte, frische Säure. Aber die Tannine sind absolut kontraproduktiv. Der Holzeinsatz scheint übertrieben, die nicht optimale Tanninqualität kann auch das recht lange Finale nicht verschönen. 88 Punkte
Ab dem Jahrgang 1996 bleiben wir nun auf einem wesentlich besseren Niveau. Wunderschöne Cassis-Nase mit Laub und erdigen, steinigen Noten, Leder und Liebstöckel. Auch am Gaumen herrliche Cassis- und Brombeerfrucht, mit packender Säure gesegnet, herrlich griffigen, sehr feinkörnigen Gerbstoffen, Power und Druck im anhaltenden Finale. Ein Wein mit Tiefe und Spannung. 92 Punkte
Während 1997 für viele Super-Toskaner ein großer Jahrgang war, zeigt sich bei Sassicaia 1997, dass die Jahrgangsqualität an der Küste nicht deckungsgleich mit der im Herzen der Toskana ist. Im Bukett zeigt er viel Brombeer- und Cassisfrucht, Noten von feuchter Erde und Hagebutten. Im Mund ist er sehr stimmig und balanciert, saftig und süffig, die leicht kreidigen Gerbstoffe unterstützen den tollen Trinkfluss, ein herrlich zu genießender, sehr balancierter Wein, dem es nur an Körper mangelt. 91+ Punkte
Waren bisher alle Weine im optimalen Trinkfenster oder knapp darüber hinaus, änderte sich dies mit dem Sassicaia 1998. Deutlich dunkelbeeriges Bukett, unterlegt von Kakao und Mokkanoten, floralen Akzenten wie Veilchen, Rosmarin, und eine feine Gewürzmischung mit Kümmel, Kardamom und ein Hauch Nelken. Dazu auch Noten von abgehangenem Fleisch und etwas Balsamico. Viel saftige Brombeer- und Cassisfrucht, auch etwas Amarena-Kirschen, werden von einer reifen, erfrischenden Säure begleitet, packend und mächtig am Gaumen mit viel feinkörnigem Tannin. Dazu ein herrlicher Schmelz. Ein Wein mit Potenzial und großer Zukunft, der die nächsten Jahre noch besser werden wird. 95+ Punkte
Der Sprung ins Jahr 2006 hatte mehrere Gründe. Zum einen waren die auf den 1998er folgenden Jahre nicht die besten, zum anderen wollten wir den Wechsel in der Handschrift des Önologen nachvollziehen.
Der Sassicaia 2006 glänzt mit einem hoch komplexen Bukett nach reifen Brombeeren, dazu das unverkennbare Spiel von Laub und Trüffel, gefolgt von Zwetschgen, Veilchen und Tabak-Noten. Man möchte kaum aufhören zu schnuppern, weil er sich im Glas öffnet und alle paar Sekunden neue Nuancen zeigt. Ein kraftvoller, ja fast wuchtiger Auftakt, mit sehr viel feinstkörnigem Tannin, glänzt er zwar nicht durch Volumen und Intensität, sondern viel mehr mit Komplexität und Finesse. Im endlos langen Finale begeistern Balance und Harmonie des edlen Tropfens. Hoch eleganter Wein voller Noblesse und großer Zukunft. 96 Punkte
Der Sassicaia 2007, der letzte Jahrgang des großen Giacomo Tachis, war für mich weit mehr Sassicaia-Typisch als sein Vorgänger. Er hat zwar nicht die Kraft und das Packende des 2006ers, ist aber persönlicher, schöner, verspielter. Im Duft zeigt er feine Kräuterwürze mit einem Hauch Paprika, gegrilltem Gemüse, reifes Cassis, erdige Noten und ein wenig Rote Beete. Am Gaumen ein super-eleganter Auftakt feinster und saftiger Fruchtnoten, nicht wirklich opulent, sondern viel mehr delikat. Die frische, schöne Säure zieht ihn nicht nur ins mittel-lange Finale, sondern macht ihn mundwässernd und super-elegant. Wie feinste Seide fließt er, und erhält so einen Schönheitspreis: 94+ Punkte
Der Sassicaia 2008 ist der Wein ohne Kellermeister, denn Graziani Grassini nimmt erst den 2009er für sich in Anspruch. Opulentes, schmelziges, ja fast cremiges Bukett, das zunächst von Cassis definiert wird, dann aber von mehr und mehr Röstaromen, Karamell, mediterranen Kräutern, Lakritze, Tabak, etwas Zigarrenkiste und Speck begleitet wird. Mit Opulenz und Kraft auch am Gaumen, sehr konzentriert, aber ohne jede Schwere. Power und Finesse sind in Perfektion vereint, gehen Hand in Hand, es entstehen Druck und Tiefe, Spannung und Spiel. Großartiger, spektakulärer Sassicaia mit großer Zukunft. 98 Punkte
Der Sassicaia 2009 ist der erste Jahrgang in alleiniger Verantwortung der Önologin Graziana Grassini. Mit einem eher hohen Anteil von Cabernet Franc glänzt er mit einem rauchig-speckigen Bukett von Pflaumen, Cassis und Brombeeren, die von Tabak, Veilchen und Lakritze ergänzt werden. Geschliffen und präzise die Tannine mit viel Grip und Biss, sehr klar und fokussiert die Aromatik. Konzentriert und kraftvoll, dabei immer auf der eleganten Seite bleibend. Ultra-langes Finale voller Sinnlichkeit. 98 Punkte
Die übersprungenen Jahre sind bei Sassicaia allesamt gut bis hervorragend, mit dem 2013er an der Spitze. Aber keiner reicht an die beiden folgenden Jahrgänge heran.
Der Sassicaia 2015 setzt dann wieder ein Ausrufezeichen! Sehr präzises, ausladendes Bukett nach schwarzer Kirschfrucht, fast schon Sangiovese-like, mit viel Würznoten, Röstaromen, einem Hauch Vanille, etwas nussige Anklänge, Tabak und steinigen Noten. Ein Power-Wein mit sensationeller Dichte an geschliffenen und feinstkörnigen Tanninen, mit großer Konzentration und Dichte, dennoch weich, und geschmeidig und fast grazil wirkend, macht schon erstaunlich viel Spaß und wird sich bald einer ersten Genussphase nähern, aber mit großer Zukunft. Ein Wein mit Kraft und Tiefe, der sehr lange sehr viel Freude bereiten wird. 98 Punkte
Der Sassicaia 2016, der schon als Wiedergeburt des legendären 1985ers gefeiert wird, ist sicher ein großer Wein aus einem großartigen Jahr. Ob er je an die Klasse seines Vorbildes heranreichen wird, stelle ich in Frage. Dafür sind die beiden Weine stilistisch viel zu weit auseinander. Die moderne Önologie setzt ganz andere Maßstäbe, entsprechend ist der 2016er konzentrierter und dichter. Ob er die 100 Punkte verdient hat, ist eine ganz andere. Meines Erachtens hat er das Potenzial dazu, die Zeit wird es zeigen. Im Augenblick tendiere ich eher zu einer 99+ Wertung. Zweifelsohne ist der 2016er ein großartiger Wein, der wuchtig ohne Schwere daherkommt, der Kraft und Fülle aufweist und dennoch elegant bleibt, ein Wein von grandioser Klarheit, von präzisen, geschliffenen Aromen geprägt, mit feinsten Tanninen ausgestattet. Ein Wein mit Rasse und Klasse! Seine perfekte Balance in punkto Frische, Intensität, Struktur und Fülle machen ihn zweifelsohne zum besten Wein der Dekade, wenn nicht gar zum besten Sassicaia seit 1985. 99+ Punkte
Zusammen mit dem 2015er bildet der 2016er ein Traum-Paar. Aber auch eine stilistische Zeitenwende, denn beide sind wesentlich moderner, internationaler und weniger Terroir-geprägt als die Vorgänger. Die Frage, ob die Sassicaia-DNA dabei ein Stück weit verloren geht oder sich weiterentwickelt, bleibt erst einmal unbeantwortet im Raume stehen. Die Zeit wird es zeigen.
Zweifelsohne war der 1985er Sassicaia nach seinen beiden jüngsten Brüdern ein Quantensprung in jeder Hinsicht. Ein Monument, eine in Stein gemeißelte, zeitlose Ikone, der auch die Flaschenreife von mehr als 30 Jahren nichts anhaben konnte. Viermal konnte ich ihn in den letzten 25 Jahren kosten, und schon beim ersten Mal (im Jahre 1995) war ich hin und weg. Jedes Tasting danach war besser und berührender als das davor. Diese Inkarnation an Wein-Perfektion konnte bis dato kein anderer Wein überbieten. Gänsehaut pur!
Wir haben den Wein nicht dekantiert, vorher geöffnet oder karaffiert. Schon beim Herausdrehen des Korkens (perfekt, nur bis zur Hälfte dezent durchnässt) kündigte sich eine Once-in-a-lifetime-experience an. Nur schon der Korken und das, was an Aromen aus der Flasche kam, verzauberte die Umstehenden, denn das war so intensiv und klar und rein, dass man sich keine Sorgen um Korkschmecker machen musste. In der Literatur wird immer mal wieder darüber berichtet, dass es viele Flaschen mit schlechtem Kork gab, doch dieser war schlicht perfekt. Im Glas setzte sich dieser erste Eindruck fort. Er zeigt ein immer noch attraktives, leicht aufhellendes Rubinrot mit Granatfarbenen Reflexen, nicht ganz klar und dennoch funkelnd. Das generöse Bukett verströmte intensive Aromen von Waldboden, rosa Champignons, Graphit, schwarze Oliventapenade, Lorbeer, etwas Röst- und Holzaromen, das sich faszinierend entwickelt, und selbst etwas Hagebutte und Rosenduft zeigt, Kaffeebohnen und Speck, und immer wieder Kräuterwürze ins Spiel bringt. Alleine des Buketts wegen hat sich dieser Abend gelohnt. Am Gaumen dann ein an Dramatik nicht zu überbietendes Schauspiel, dunkle Frucht wird von einer herzerwärmenden Säure begleitet, die ihn jung und frisch wirken lässt. Rund und perfekt wie eine Billardkugel wirkt er beim ersten Schluck, in sich ruhend und aufregend, mit seidig anmutenden Tanninen, die zwar vorhanden sind, aber so genial integriert, dass man mehr die Textur als die Struktur bestaunt. Spektakuläres Meisterwerk, das nicht die geringsten Anzeichen von Müdigkeit zeigt, und in dieser Form auch noch die nächsten 15 bis 20 Jahre überstehen wird. Maximalwertung, die aber so weit über den üblichen 100 Punkte-Kandidaten schwebt, dass er einfach nur erhaben ist und zu einer anderen Kategorie Wein gezählt werden sollte. Ich habe schon unzählige 100 Punkte Weine getrunken, und war in der Regel mit deren Wertung einverstanden. Ich habe selbst zahlreiche Weine mit 100 Punkten bewertet, aber keiner dieser Weine hat mich auch nur annähernd so intensiv berührt und gepackt wie der Sassicaia 1985 im Februar 2020."
Text und Fotos: Frank Roeder MW