100 Punkte für den trockenen 2019er Riesling "1896" von Carl Loewen

31. Oktober 2020 News

Dass der Jahrgang 2019 ein ganz großer in Deutschland ist, hat sich inzwischen rumgesprochen. Nach dem phänomenalen Jahrgang 2018 glänzen die Weine aus 2019 mit noch mehr Finesse, Frische und Tiefe. Die nationale und internationale Presse - egal ob Parker's Wine Advocate, Jancis Robinson, Decanter oder James Suckling - feiert dieses Jahrgangsduo, mit dem sich deutsche Weine wieder an der Weltspitze zurückmelden! Nun hat Stuart Pigott, der die deutschen Weine für James Suckling bewertet, dem Riesling 1896 vom Weingut Carl Loewen 100 Punkte verliehen. Das ist für einen trockenen Riesling von der Mosel eine Sensation!

Voller Begeisterung über diesen Wein schreibt Stuart Pigott in elegischen Worten: "Wagt es, in diesen quirligen, enorm komplexen Strudel von Kräutern und Würznoten einzutreten. Dann badet in einem tiefen Pool köstlichster Pfirsich-Aromen, und just in dem Moment, da ihr euch in sicheren Gewässern wähnt, wird eine Monsterwelle von Mineralität euch von den Füssen reißen und in die Tiefe ziehen. Jahrzehntelanges Reifepotenzial. Jetzt trinken oder lagern. 100 Punkte".

Mehr Informationen über Stuart Pigotts allgemeine Analyse der beiden Jahrgänge findet ihr auf der Webseite von James Suckling unter https://www.jamessuckling.com/wine-tasting-reports/2019-germanys-100-point-vintage/

Der Riesling 1896 ist in der Tat ein ungewöhnlicher Wein. Er stammt aus der Lage Longuicher Maximin Herrenberg. Wer über die Autobahn A1 die Mosel bei Trier in Fahrtrichtung Koblenz überquert, kann rechterhand diese nach Süden orientierte Steillage sehen. Die Parzelle, die heute dem Weingut Carl Loewen in Leiwen gehört, wurde im Jahre 1896 mit wurzelechten Riesling-Reben in Einzelpfahl-Erziehung bestockt.

 

Carl und Christopher Loewen im Maximin Herrenberg

Carl Loewen und Sohn Christopher keltern gleich zwei Weine aus dieser Lage. Zum einen den "1896", der nach einer Idee von Christopher "so wie früher" erzeugt wird. Die Trauben werden an einem einzigen Tag von Hand gelesen: Ohne jede Selektion, also mit einem kleinen Anteil unreifer, überreifer oder eingetrockneter Beeren, manche auch mit einem Anteil Botrytis. Quasi ein Abbild der Reifesituation an diesem Tag.

In Bütten werden die Trauben bergauf zum Hänger gebracht und in eine 500 Liter fassende Bütte geschüttet. Nun beginnt ein Prozess, der die moderne Önologie konterkariert: Die Trauben werden mit den Füßen eingestampft. Damit setzt bereits Oxidation ein, Phenole (Gerbstoffe) treten aus. Da erst abends gekeltert wird, reift das Lesegut vom Morgen bis zu 12 Stunden in den Bütten, das vom Nachmittag entsprechend weniger. Gut 40 Minuten dauert die Fahrt vom Herrenberg bis ins Weingut.

Dort gelangen die Trauben in eine uralte Korbpresse (siehe Foto), per Muskelkraft wird gepresst. Anstelle der üblichen 2 Stunden Presszeit in einer modernen pneumatischen Presse dauert der Vorgang bis zum nächsten Morgen. Der Most gelangt ohne Sedimentation per Schwerkraft in das älteste Fuderfass des Betriebes. Rund 60 Jahre alt ist das Fass, das aus Eiche von der Eifel geschlagen wurde.

Die Gärung im kühlen Keller setzt mit den natürlichen Hefen ein. Kontrolliertes Nichtstun ist angesagt. Wenn die Gärung durch ist verbleibt eine natürliche Restmenge an Zucker, die im sensorischen Trockenbereich bleibt. Beim 2019er sind es rund 12 Gramm. Im großen Fass reift der Wein weiter auf seinen Hefen. Kein Abstich, keine Klärung verändert ihn, bevor er im April oder Mai, je nach Jahrgang, durch einen Grobfilter läuft und in die Flaschen gefüllt wird.

Leider gibt es nur ein Fuder, und somit knapp 1.000 Flaschen. Viel zu wenig für diesen seit Jahren (der erste Jahrgang war 2012) begehrten Wein, der seit dem Jahrgang 2018 gehypt wird. Obwohl wir eine ansehnliche Menge erhalten, müssen wir den Wein zuteilen: Um möglichst vielen Riesling-Liebhabern den Genuss dieses Weines zu ermöglichen, limitieren wir die Abgabemenge auf 1 Flasche pro Besteller.

 

So sehen Rebstöcke aus, die 1896 wurzelecht gepflanzt wurden

 

Doch es gibt eine Alternative: Aus dem gleichen, 1896 gepflanzten Weinberg machen die beiden Loewens noch einen zweiten Wein, der auf moderne Weise erzeugt wird. Der Maximin Herrenberg 1896 Erste Lage trocken wird ebenfalls von Hand gelesen, aber nur die gesundesten und besten Beeren werden verwendet. Sprich, alle unreifen oder überreifen Beeren, alle eingetrockneten oder von Botrytis befallenen Beeren werden aussortiert. Gekeltert wird der Wein in einer modernen pneumatischen Presse. Die Gärung findet nach einer Sedimentation (die Trubstoffe sinken am Boden ab) ebenfalls im großen Holzfass mit den natürlichen Hefen statt. Er wird abgestochen und auf den Feinhefen ausgebaut.

Es ist schon verblüffend, dass zwei Weine aus dem gleichen Weinberg, die in gleichem Reifezustand gelesen und sich nur in der Modernität des Weinmachens unterscheiden, so gleich und doch unterschiedlich sind: Der "1896" mit deutlich mehr Aromatik, Struktur und Tiefe. Schon das Bukett nach Mirabellen und Reinclauden und seiner komplexen Kräuter- und Würznuancen duftet intensiver und vor allen Dingen anders. Am Gaumen zeigt er sich stoffig und konzentriert, mit einer gewissen Wildheit und Ungestümtheit, ein Hauch Bitterkeit durch die Gerbstoffe wirkt aber keineswegs störend, sondern komplettierend. Das Spiel der mineralischen Akzente mit der Frucht ist einfach betörend. Mit einer Tiefenwirkung beeindruckt er in seinem sehr langen Nachklang, der von Komplexität und Vielschichtigkeit getragen wird. Mit seinen gerade einmal 12,5% Alkohol wirkt er nie schwer oder breit, sondern schwebt mit einer Leichtigkeit über den Gaumen bei imponierender Fülle.

Der Maximin Herrenberg 1896 trocken Erste Lage hingegen glänzt mit einer hoch präzisen und feinen Aromatik nach weißem und gelbem Pfirsich, wie man sie von vielen Rieslingen der Spitzenklasse kennt. Das mineralische Spiel ist fast schon salzig zu nennen, zusammen mit der saftigen Frucht spielt auch die reife Säure ein Aromenwechselspiel, das immer neue Harmonien komponiert und mit der Entwicklung im Glas ständig neue Facetten bietet. Wie bei einer großen Komposition, die man immer wieder hören kann, begeistert er Schluck für Schluck, das Entzücken findet kein Ende.

Daher empfehle ich allen Riesling-Freaks, die dieses Jahr keinen "1896" erhalten, den Maximin Herrenberg als würdige Alternative. Verbunden mit der Hoffnung, dass die Loewens vielleicht in naher Zukunft ein zweites Fuder von ihrem Weltklasse-Riesling produzieren.

Und ein kleiner Hinweis sei erlaubt: Die Loewens produzieren auch edelsüße Weine, die mit 100 Punkten bewertet wurden: So zum Beispiel die 2015er Beerenauslese Maximin Herrenberg.

 

Mehr Infos zum Weingut Loewen gibt es in einem Video, das wir vor Ort im Maximin Herrenberg gedreht haben: